Bloody Mary - Pasta blanda

Seine Frau hat seit ihrem Einzug vor zwei Monaten die spartanische Wohnung noch nie verlassen, weil sie dieses Stadtungeheuer Paris ängstigt. Das einzige, was sie ständig wechselt ist ihre Rolle. Schizophrene Schübe reißen sie von einem Extrem in das andere. Sam Schneider weiß nie, wer ihn erwartet, wenn er abends nach Hause kommt: das unselbständige Kleinkind "Baby-France" oder "Huren-Maggy".

Mit von der Partie ist auch der Afrikaner Locomotive-Baba N'Doula, der seine Frau noch daheim im Dorf beim Glückspiel verloren hat und sich jetzt in Paris als Fensterputzer seinen Lebensunterhalt verdient. Wenn er sich wie eine Spinne an zwei Drahtseilen an der Fassade des Häuserblocks entlanghangelt, bekommt er manchen delikaten Einblick in das Privatleben der jeweiligen Bewohner. Dabei verliebt er sich in Sam Schneiders Frau und weil sie darauf steht, lässt er sich die Haare blond färben. Ein blonder Neger in Paris -- das kann nicht gut gehen. Nicht zu vergessen ist Jean-Yves Grandvallet, der aus der starren, militärischen Hierarchie mit drei Handgranaten in der Tasche ausbricht und versucht, sich damit die Welt zu erobern.

Am Ende des Buches, das mit einem infernalischen Blutbad endet, stellt der Leser etwas verwundert fest, dass er während der gesamten Lektüre wirklich keinem einzigen normalen Menschen begegnet ist. Das soll nicht heißen, dass die handelnden Personen nicht jede auf ihre Art die Sympathie des Lesers genießen, doch Jean Vautrin stellt überzeugend dar, dass es in der Verrücktheit der gegenwärtigen Zeit wirklich schwer ist, normal zu bleiben.

Das Besondere an diesem Buch ist der eigenwillige Stil von Jean Vautrin. Er baut seine Personen von innen heraus auf, indem er den Leser an ihren abstrusen Gedanken teilhaben lässt. Die sehr spezielle Art und Weise ihrer Wahrnehmung stellt die Lachmuskeln während der Lektüre auf eine harte Probe.

Ganz exzellente Arbeit hat die Übersetzerin Marie Luise Knott geleistet. Sie hat die Feinheiten der französischen Sprache adäquat ins Deutsche übertragen. Jean Vautrin (dies ist das Pseudonym des Elsässers Jean Herrmann) hat den Prix Fictions, den er für dieses Buch 1979 erhalten hat, wirklich verdient. --Manuela Haselberger